Tag 08 Dessau Wittenberg 69km

Veröffentlicht am 6. Juni 2021 um 22:46

Heute um 13:40 wurden meine Träume zerstört. Detlef Kaden schreibt mir, dass Putin nun offiziell folgendes verlautbart hat: „Irgendwann im September werden wir den Impfstand von 60 % der gesamten Bevölkerung erreichen. Erst danach wird es möglich sein, über einen breiteren Zugang zu unserem Territorium zu sprechen....“ Somit sollte Russland und somit auch Moskau nicht mehr möglich sein, da nach wie vor eine Einreise über Land trotz Visum nicht möglich ist und bleiben wird. Leider ist Herr Kaden, seines Zeichens Betreiber einer Homepage zum Thema R1 und Russlandkenner, eine verläßliche Quelle. So muss ich wohl umplanen. Aber diese Pläne waren ja schon im Hinterkopf und müssen nun noch überarbeitet werden. Dazu wohl in den nächsten Tagen mehr. Aber eins ist sicher, die Reise geht weiter.

 

Sooo ...., der Tag beginnt mit einer wilden Mischung aus Ketchup, Salz und Instant Kaffee. Irgendwie sind alle drei Dinge in der Fahrradtasche ausgelaufen und bilden eine seltsame und unangenehme Mischung aus den drei Komponenten. Dank des Ketchups klebt das Ganze, insbesondere das Kaffeeinstantpulver (Liebe Anni, gib das mal bitte weiter) mit dem Salz und allem anderen zusammen. Ok, alles vor dem ersten Morgenkaffee reinigen und neu verpacken. Los gehts demzufolge spät, dafür wartet jetzt Bauhaus Architektur (die Meisterhäuser) und Ulli. Ulli ist wieder einer dieser tollen Begegnungen, warum es sich lohnt, raus in die Lande zu fahren. Ulli steht mit seinem elektrischen Rollstuhlfahrzeug direkt vor dem so beschrifteten Kiosk der sogenannten Meisterhäuser. Da von den Häusern nicht so viel zu sehen ist, halte ich vor ihm an und frage, wo ich denn hin müsse, um die Architektur zu sehen. „Gleich hier“ antwortet er. „Der Kiosk gehört dazu, aber hier hammse noch wie wat verkooft“. Er hat vor seinem Rentenalter Fleisch durch Europa gefahren und ist sichtlich enttäuscht, als er mir erzählen muss, dass er nunmehr mit max. 6km/h unterwegs ist. Günter Wallraff wäre begeistert von Uli, denn er erzählt mit lange von den dunklen Machenschaften der Fleischindustrie und was er alles wohin gefahren hat. Ich erspare hier Details, frage ihn aber, ob er noch Fleisch essen würde. „Jo, klar, aber keene Geflügelwurst“. Ich denke nur an das heute morgen geschmierte Brötchen mit Putenwurst in meinem Gepäck für heute Mittag.... Ulli entläßt mich mit vielen Dingen, die mich noch eine Weile beschäftigen, aber auch ein paar Tipps, wie es am Besten aus Dessau rausgeht. Ich schaue mir die Bauhaus Häuser an, was wirklich interessant ist für 20 Minuten. Dann kommt Ulli wieder mit dem Rollstuhl angerollt und empfiehlt mir noch die Sehenswürdigkeit 7- Säulen, die eigentlich aus 8 besteht, aber man  je nach Blickwinkel nur 7 sieht. Also nicht alles glauben, sondern einfach nur mal den Blickwinkel ändern, denke ich. Ulli und ich verabreden uns für weitere Gespräche, wenn ich wieder in Dessau sein sollte. 

 

Huch, schon 11 Uhr durch. Los gehts durch grandiose Waldwege entlang der Mulde rein ins paradiesische Elbauen Bioreservat. Die nahezu ersten 30 km sind der Hammer. Wunderbare Luft in den Fußauen nach dem Regen in der Nacht. 

 

Verlasse nie den R1, auch wenns kürzer erscheint, brenne ich mir ins Hirn, nachdem ein Shortcut die Route auf langweiligen Wegen verkürzen wurde. Zum Glück drehe ich auf der Abkürzung nach 500 Metern um, denn der Wegweiser R1 und ein Hinweis auf Ferropolis machen mich neugierig. Ich werde nicht enttäuscht trotz der ca. 5km mehr. Ferropolis ist ein Gesamtkunstwerk an einem alten Tagebau. Hier ist nun ein See und auf einer Halbinsel stehen die alten Ungetümer von Abraumbaggern, die langsam vor sich hin rosten. Eine mega Kulisse, die in Nicht- Corona Zeiten auch für Konzertveranstaltungen mit bis zu 25.000 Zuschauer herhalten kann. Ich liebe morbiden Industriecharme. 

 

Jetzt kommt eine ca. 10 km lange Strecke an einer Bahnlinie. Immer geradeaus. Meter machen und es wird mir klar, dass die Zeit mit Ulli keine Zeitverschwendung war und nicht den Zeitplan, wenn es sowas gibt, durcheinander bringt. Dennoch muss es weitergehen, denn Wittenberg wartet  um 18 Uhr das Treffen mit Vanessa vom Tourismusverband. Die letzten Meter nach Wittenberg gehen über die Elbbrücke mit grandiosem Blick auf Wittenberg.

 

Cranachs Herberge wartet und ich komme mit der bislang kürzesten Etappe auch sehr früh um 15 Uhr an - trotz Ulli. Welch eine Unterkunft! Im gerade renovierten historischen Gebäude, der Wirkungsstätte des Malers Cranich (Wikipedia wird nachgereicht), darf ich das Zimmer mit der einzig erhaltenen Eingangstür aus dem neunzehnten Jahrhundert beziehen. Über eine Wendeltreppe erricht man das Gemach im zweiten Stock und man weiß nicht, ob es Museum oder Herberge ist. Alles sehr historisch und liebevoll renoviert. Ich fühl mich extrem wohl. 

Nach einer Dusche schaue ich mir die Stadt an, die ich wohl nie besucht hätte, wenn es nicht ein Etappenziel auf dem R1 gewesen wäre. Ich muss sagen, es ist bislang die sehenswerteste Stadt auf der ganzen Reise. Ich stehe vor der Türe, wo Luther die Thesen angeschlagen hat, laufe durch die komplett über den Krieg erhaltene Altstadt. Top! Fahrt mal hierher, ehrlich. Das hat jetzt nicht damit zu tun, dass es 18 Uhr ist und der abendliche Termin mit Vanessa vom Tourismusverband ansteht. Am Brauhaus empfängt sie mich. Wir verbringen den Abend mit Kabeljau und dem Hausbier. Ihr Freund Markus ist dabei und wir unterhalten uns über viele Themen und überlegen wie man Sachsen Anhalt aus dem Versenkung heben kann. Denn es ist toll hier und die beiden sind die besten Aushängeschilder. Wir verabreden uns für morgen um neun für ein kleines Fotoshooting. Die WelterbeRegion Anhalt Dessau Wittenberg hat Aufmerksamkeit verdient. So wird morgen wohl Medientag werden. Wer hätte das gedacht, 9 Uhr Welterbe, 12 Uhr WMW Radio mit einer Aktion über meine Reise und zwischendurch in Bad Belzig Treffen mit dem Reporter des märkischen Kurriers aus Brandenburg. Ja, reisen ist nicht nur Sonne und trampeln.

 

Jetzt fallen die Mücken über die Altstadt von Wittenberg her und es ist Zeit, ins Bett zu gehen. Sie kommen von der Elbe, sagt man mir.

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